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Wenn Schilf zum Rohstoff wird

Im weitläufigen Delta des Dnepr, da, wo es bereits fast kein Festland mehr gibt, stattdessen immer kleiner werdende und immer weiter voneinander entfernte Fetzen Boden, gedeiht der wohl am schnellsten nachwachsende erneuerbare Energieträger in rauen Mengen – Schilf und Rohr. Es wäre wundersam, hätten die Menschen dort nicht inzwischen auch wirtschaftlichen Nutzen aus diesem üppig vorhandenen Rohstoff zu ziehen gewusst.

Das in Cherson beheimatete Unternehmen „Dobrobud“ stellt mehrere Arten Brennstoffbriketts und Pellets aus Schilf her. Je nach Sorte steht deren Heizwert dem von Kohle nicht in vielem nach. „Dobrobud“ verfügt ebenso über das Know-How zur Herstellung von OSB-Platten, Dämmstoffen, Düngemitteln und Nahrungsergänzungsstoffen aus Schilf. Erst unlängst wurde im benachbarten Kasachstan eine OSB-Produktion aus Schilfschnitzel gestartet. Pilotprojekte im Bereich Dämmstoffe und Düngemittel wurden erfolgreich durchgeführt.

Oksana Shevchenko, Direktorin des Unternehmens, kam mit dem Ziel nach Deutschland, Abnehmer für ihre Produkte und Kooperationspartner für die Weiterverarbeitung des Rohstoffs Schilf – mit dem Fokus Baustoffe – zu finden. Ihre Initiative fiel in die Zeit, in der in Deutschland Styropor-basierte Dämmstoffe nunmehr als Sondermüll gelten. Nicht nur die Entsorgung alter Dämmstoffe, sondern auch die Kosten für umweltfreundliche Materialien stellen für eine große Zahl an deutschen Immobilieneigentümern nun ein Problem dar.

In diesem konstruktiven Spannungsfeld nutzte die deutsche Firma Wetland Products den durch das Managertrainingsprogramm des BMWI ermöglichten Kontakt mit Oksana Shevchenko, um Kooperationsmöglichkeiten im Bereich Schilf als Ressource für Baustoffe auszuloten. Schilf wird von den Deutschen noch nicht in dieser Eigenschaft wahrgenommen – gedeiht es hierzulande in nutzbaren Mengen doch fast ausschließlich in Naturschutzgebieten; entsprechende Erkundigungen, etwa bei der Fachagentur Nachwachsender Rohstoffe, ergaben bestenfalls Verweise auf die traditionelle Art Dachbedeckung bei norddeutschen Bauernhäusern, wie sie heute in seltenen Fällen noch gepflegt wird. Bau- und Dämmstoffe aus Schilf seien in Deutschland Zukunftsmusik, so Aldert van Weeren, Chef von Wetland Products. Sie würden aber sicher mittelfristig einen Markt haben und diesen langsam ausbauen können, wenn nämlich die Folgen der Klassifikation von Styropor als „Sondermüll“ weitreichend zum Tragen gekommen sind und nachhaltigen Alternativen, etwa dem extrem schnell nachwachsenden Schilf, mehr Augenmerk gewidmet wird.

Die damit verbundenen Chancen gilt es schon heute zu sichern. Oksana Shevchenko konnte im Verlauf ihres Deutschlandaufenthalts auch bereits die ersten zwei Tonnen Schilfbriketts – als Warenmuster und für Untersuchungen – an deutsche Unternehmen verkaufen. „Dobrobud“ ist weiterhin für alle Kontakte offen; gesucht wird nach wie vor ein Kooperationspartner für die tiefere Verarbeitung des Rohstoffs Schilf, etwa zu OSB-Platten oder Dämmstoffen.

Die Teilnahme ukrainischer Unternehmen am Managertrainingsprogramm des BMWI zielt heute häufig auch darauf, in Deutschland und Europa neue Märkte für ihre Produkte auszumachen. Viele der 14 ukrainischen und moldawischen Teilnehmer, welche vom 17. Oktober bis 10. November 2016 ihre Fortbildung bei NBL in Dresden absolvierten, hatten sich dieses wirtschaftliche Ziel gesetzt. Gesucht wurden Interessenten nicht nur für Produkte aus Schilf, sondern ebenso Abnehmer für Speiseeis und Auftraggeber im Bereich Fensterbau. Dem europäischen Markt entsprechende Qualität und Zertifizierung sind für die ukrainischen Unternehmen dabei in der Regel keine Hürde; die Schwierigkeit besteht darin, nach dem Wegfall ihrer traditionellen Märkte im zwar nunmehr durch ein Freihandelsabkommen offenen, aber in fast allen Bereichen sehr übersättigten EU-Markt Fuß zu fassen.

Dieses Ziel lässt sich mit den Erfahrungen aus dem Managertrainingsprogramm, das wirtschaftliche und kommunikative Kompetenzen im Hinblick auf deutsche Geschäftspartner vermittelt, sicherlich besser verwirklichen. Oksana Shevchenko von „Dobrobud“ hat nach ihrem Deutschlandaufenthalt jedenfalls einen guten Einblick in ihren potentiellen Zielmarkt und dessen Perspektiven. Mit diesen Einsichten, der Erfahrung aus dem MP in Deutschland und enormen Vorräten an nachwachsenden Rohstoffen für ihre Produktion ist sie für die Zukunft bestens gewappnet.

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